Russlands Militärpräsenz im Nahen Osten wird langfristig sein

Die russischen Streitkräfte nutzen Syrien als Übungsort und Schauplatz zur Vorführung neuer Waffensysteme. Zugleich legt Moskau die Grundlage für eine langfristige Militärpräsenz im Nahen Osten, schreibt Militärwissenschaftler Hannes Adomeit.

von Hannes Adomeit

Am 30. September letzten Jahres überraschte Russland die Weltöffentlichkeit mit seinem militärischen Eingreifen in Syrien. Im Gegensatz zu den verdeckten Operationen in der Ukraine macht der Kreml kein Hehl aus seinem nahöstlichen Militäreinsatz. So erläuterte Aussenminister Lawrow im Uno-Sicherheitsrat, dass sich Damaskus mit der Bitte um Unterstützung an Präsident Putin gewandt habe und der Präsident dieser Bitte entsprochen habe.

Op weg naar Syrie mindef ruAuf dem Weg nach Syrien (foto mil.ru.en)

Zwei Wochen später gab Putin in einem Interview bereitwillig Auskunft über den unerwarteten Einsatz seegestützter Marschflugkörper von Kriegsschiffen im Kaspischen Meer aus. Dies seien Präzisionswaffen vom Typ Kalibr gewesen, die erst ab 2012 in Dienst gestellt worden seien. Beim Einsatz in Syrien seien sie mit Geschwindigkeit von Kampfjets in einer Höhe zwischen 80 und 1300 Metern geflogen. Sie hätten zwei Länder (Iran und den Irak) durchquert. Die technischen Daten dieses Waffensystems seien ja kein Geheimnis, aber 'es ist eine Sache, wenn Experten sich bewusst sind, dass Russland möglicherweise diese Waffen hat, aber eine ganz andere Sache, wenn sie zum ersten Mal sehen, dass diese tatsächlich existieren. Sie haben auch gesehen, dass Russland bereit ist, sie einzusetzen, wenn dies im Interesse unseres Landes ist.'

Teil einer Drohkulisse

Unter Kosten- und Effizienzkriterien ist nicht offensichtlich, warum Moskau solche Marschflugkörper einsetzt und sich nicht auf Waffensysteme nahe der Front in Syrien beschränkt. Doch erstens fügt sich die Demonstration militärischer Fähigkeiten in Syrien in die Drohkulisse ein, die der Kreml im Verhältnis zu den USA und zur Nato in Europa aufbaut. Zweitens ist die Zurschaustellung militärischer Fähigkeiten Teil der Kampagne nationalpatriotischer Mobilisierung, die der Kreml seit Jahren führt. Drittens erhöht der erfolgreich demonstrierte Einsatz modernster Waffensysteme deren Exportchancen.

Ein vierter Aspekt ist die Überprüfung und Vervollkommnung der Waffen, ihrer Handhabung durch das Militärpersonal und der anzuwendenden Einsatzgrundsätze. Fünftens dient die Militärintervention dazu, im Nahen Osten eine dauerhafte militärische Präsenz mit Basen für die Luftwaffe und die Marine zu etablieren.

Hauptgewicht bei der Luftwaffe

Den grössten Anteil an den Kampfeinsätzen in Syrien hat die russische Luftwaffe. Sie absolvierte laut Verteidigungsminister Schoigu bis Oktober 2016 rund 13 000 Kampfeinsätze. Die meisten Einsätze starten dabei von der Luftwaffenbasis Hmeimim bei Latakia aus. Im März 2016 erklärte Putin überraschend, die gestellten Aufgaben seien 'im Grossen und Ganzen erfüllt'; er habe deswegen den Abzug eines Teils der russischen Streitkräfte aus Syrien befohlen. Was immer auch die politischen Motivationen dieses Schritts gewesen sein mögen, Putin stellte klar, dass die Luftwaffenbasis Hmeimim wie auch der Marinestützpunkt in Tartus bestehen bleiben würden. Nach einer vorübergehenden Reduktion erreichte Russlands Militärpräsenz schnell wieder ihren vorherigen Stand.

Basis Hmeimim Mindef ruRussischer Kampfjet auf der Basis Heimim (foto mil.ru.en)

Die Zahl der in Hmeimim zur Verfügung stehenden Kampfjets ist relativ gering. Zu Beginn der Militäroperation Ende September 2015 bestand die 'aviazionnaja gruppirowka' aus 12 Suchoi-Bombern des Typs Su-24M, 12 modernisierten Su-25-Erdkampfflugzeugen, 4 neuen Su-34-Jagdflugzeugen, 4 neuen Su-30SM-Mehrzweckkampfjets und einem Aufklärungsflugzeug, also insgesamt 33 Flugzeugen. Bis Februar kamen 4 weitere Su-34 und 4 Su-35S-Mehrzweckflugzeuge, die alle gerade erst in Dienst gestellt worden waren, hinzu. Ergänzt wird dieses Kontingent durch 16 Kampfhelikopter und mehrere Trans-porthelikopter. Offensichtlich ist der Aufbau der Basis Hmeimim auf lange Sicht konzipiert. Dafür spricht unter anderem das von der Duma im Oktober verabschiedete Militärabkommen mit Syrien, demgemäss das russische Militär die Basis kostenfrei und ohne jegliche zeitliche Begrenzung nutzen darf.

Vom Kommandozentrum in Hmeimim werden auch die Kampfeinsätze von strategischen Bombenflugzeugen geplant und geleitet. Zu diesen gehören die modernisierten Tupolew-Überschalljets Tu-160 und Tu-22M3 sowie die veralteten Tu-95MS-Langstreckenbomber, die von Luftwaffenbasen an der Wolga und im Nordkaukasus starten und über das Kaspische Meer, Iran und den Irak Ziele in Syrien angreifen. Sie wurden zwar noch in der Sowjetära produziert, aber mit neuen Waffen ausgerüstet. Nach dem ersten Einsatz der strategischen Bomberflotte in Syrien meldete Moskau, dass dabei Kommando-einrichtungen, Depots, Waffenproduktionsstätten und Ausbildungslager in den Provinzen Rakka und Deir al-Zur zerstört worden seien.

Auch im Zusammenhang mit der Rückeroberung von Palmyra spielten die strategischen Bomber eine Rolle. Im August gelang es Moskau, Iran zur Nutzung der Luftwaffenbasis in Hamadan zu überreden. Die Anflugroute für Russlands strategische Bomber wurde dadurch um mehrere hundert Kilometer verkürzt. Insgesamt haben strategische Bombenflugzeuge im ersten Jahr der russischen Intervention in Syrien mehr als 200 Kampfeinsätze absolviert.

Die Kampfjets und strategischen Bombenflugzeuge werfen Bomben aller Arten ab. Dazu gehören verschiedene Typen der RBK-500- und KA-500-Se-rien, 500 Kilogramm schwere Bomben, die mit Gefechtsköpfen unterschiedlicher Wirkungsweise ausgerüstet sind − Splitter-, Streu-, Aerosol-, Vakuum-oder thermobare sowie Penetrations- oder bunkerbrechende Gefechtsköpfe. Das russische Verteidigungsministerium dementiert regelmässig, dass es international geächtete Munition einsetzt. Diese Behauptung wurde allerdings Lügen gestraft, als Verteidigungsminister Schoigu im Juni die Basis Hmeimim inspizierte und der russische Auslandsender RT unbeabsichtigt Aufnahmen einer einsatzbereiten Su-34 zeigte, an deren Rumpf Streubomben der RBK-500-Serie angebracht waren.

Ein Teil der eingesetzten Bomben kann mit hoher Präzision ins Ziel gebracht werden. Dies geschieht mittels satellitengestützter, Laser- und elektro-optischer Zielerfassungs- und Lenk-systeme. Allerdings kann laut westlichen Schätzungen nur ein Fünftel der bisher eingesetzten Gefechtsköpfe als Präzisionsmunition bezeichnet werden.

Marinebasis wiedererweckt

An der Militärintervention ist nicht nur die russische Luftwaffe, sondern auch die Marine beteiligt – so beispielsweise das vor zwei Jahren in Dienst der russischen Schwarzmeerflotte gestellte Unterseeboot 'Rostow am Don'. Im Vergleich zu Vorgängertypen ist es länger, schneller und mit verbesserten Sensoren ausgestattet. Es verfügt sowohl über Torpedos als auch über Marschflugkörper. Zum Einsatz kommt seit einigen Wochen auch ein vom Flugzeugträger 'Admiral Kusnezow' und vom Atomkreuzer 'Peter der Grosse' angeführter Marineverband, der von U-Boot-Jägern und Versorgungsschiffen begleitet wird. Der Flugzeugträger, Russlands einziger, wurde kürzlich modernisiert. Neben Kampfflugzeugen, unter anderem modernen MiG-29K, können vom Deck der 'Kusnezow' aus auch Angriffshelikopter starten.

Admiraal Kuznetsow onder escorte door Het Kanaal op weg naar Syrie febr 2012 rechtenvrijAdmiral Kuznezow färht durch den Kanal nach Syrien (foto defence images)

Die Sowjetmarine unterhielt ständig ein 30 bis 50 Schiffe zählendes Geschwader im Mittelmeer, das im syrischen Hafen Tartus seinen Stützpunkt hatte. Ein Jahr nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde es aufgelöst, und die Marinebasis verlor an Bedeutung. Kurz vor dem Beginn der russischen Militärintervention berichtete die Tageszeitung 'Kommersant' unter Berufung auf Militärquellen in Tartus aber, es befänden sich nunmehr rund 1700 Mann auf der Basis. Laut dem Verteidigungsministerium soll Tartus nun ein 'dauerhafter Marinestützpunkt' werden. Gemäss einem neuen Abkommen räumt Syrien Russland das Recht ein, die Basis bis zum Jahr 2065 zu nutzen.

Für den Schutz seiner Basen hat Moskau schätzungsweise 4000 Truppenangehörige abkommandiert. Diese sind unter anderem mit Kampfpanzern ausgerüstet. Zum selben Zweck hat Russland aber auch seine neuesten Flugabwehrsysteme nach Syrien verlegt. Dazu gehört das Kurzstrecken-Raketenabwehrsystem Panzir (Harnisch) mit einer Reichweite von 20 Kilometern. Es demonstrierte seine Wirksamkeit bereits 2012 mit dem Abschuss eines türkischen Aufklärungsflugzeugs. Zudem hat Moskau Raketenabwehrsysteme der Ty-pen S-300 und S-400 in Syrien aufgestellt. Letztere sind das am weitesten fortgeschrittene Abwehrsystem welt-weit. Es kann Ziele − Kampfflugzeuge, Tarnkappenbomber, Drohnen und hoch fliegende Aufklärungsmaschinen − auf eine Distanz von bis zu 400 Kilometern und in einem Höhenbereich von wenigen Metern über Grund bis zu 27 Kilo-metern bekämpfen.

Auf lange Sicht angelegt

Die Bedeutung der russischen Militärintervention in Syrien ist kaum zu überschätzen. Das betrifft sowohl ihre militärische als auch ihre politische Dimension. Es ist das erste Mal seit dem sowjetischen Krieg in Afghanistan, dass Moskau Streitkräfte jenseits des postsowjetischen Raums einsetzt. In seiner Komplexität, Intensität und Dauer übersteigt Russlands Einsatz in Syrien bei weitem jenen in Georgien im August 2008. Er offenbart auch eine gesteigerte Effizienz hinsichtlich Aufklärungsfähigkeiten, Handhabung moderner Waffen und Koordinierung des Einsatzes zwischen Teilstreitkräften. Während die russische Luftwaffe im nur fünf Tage währenden Georgien-Krieg sechs Kampfflugzeuge und einen Langstreckenbomber verlor sowie vier weitere Flugzeuge schwer beschädigt wurden und die Mehrzahl dieser Verluste von den eigenen Streitkräften verursacht wurde, hat sie im Laufe des Syrien-Einsatzes nur drei Kampfflugzeuge verloren – eines wurde durch die türkische Luftwaffe abgeschossen, zwei andere stürzten kürzlich beim Anflug auf den Träger 'Kusnezow' ab.

Concert of the Symphony Orchestra of the Mariinsky Theatre in Syrian Palmyra 02Mariinski Synfonieorchester aus Sankt Petersburg spielt in erobertem Stadt Parmyra (foto Kremlin.ru)

Derartige Erfolge sind das Ergebnis der nach dem Georgien-Krieg durchgeführten Militärreform und eines Rüstungsprogramms, das für den Zeitraum 2011 bis 2020 vorsieht, 70 Prozent des Waffenarsenals zu modernisieren. Für diesen Zweck wurden 23 Billionen Rubel (705 Milliarden Franken zum damaligen Zeitpunkt) eingeplant. Wie schon die massiven Bombardierungen Grosnys und anderer Ortschaften im zweiten Tschetschenienkrieg von 1999 bis 2009 gezeigt haben, nimmt die russische Luftwaffe auch in Syrien keine Rücksicht auf die Zivilbevölkerung. Die Waffenmodernisierungen erlauben ihr nun allerdings, Ziele mit grösserer Präzision anzugreifen. Diese Tatsache erhöht die Glaubwürdigkeit wiederholter Berichte, dass Russland entgegen dem Völkerrecht auch Spitäler angreift.

Wie die Kriege in Tschetschenien und Georgien, die Annexion der Krim und die Militärintervention in der Ostukraine stellt auch das Eingreifen in Syrien unter Beweis, dass Putin militärische Macht als ein legitimes und in zunehmendem Masse wirksames Mittel seiner Innen- und Aussenpolitik betrachtet. Die mit Syrien geschlossenen Abkommen über die 'unbefristete' Nutzung der Luftwaffenbasis Hmeimim und des Marinestützpunktes in Tartus 'für 49 Jahre' legen nahe, dass dieser militärpolitische Ansatz langfristig angelegt ist und nicht nur für den Nahen Osten gilt.

Dieser Artikel war erst publiziert in der Neue Zürcher Zeitung

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